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Was «Affen» in Zug, Tram und Bus machen

Wir sind bei SBB, BVB und MGBahn mitgefahren und haben Zugbegleiterinnen und Kontrolleuren bei ihrer Arbeit über die Schulter geschaut. Fazit: E­Ticket lösen ist nicht schwer, Billette kontrollieren dagegen sehr.

Montagmorgen, Zürich HB. Jessica Heinzerling steht neben dem Zug auf Gleis 31. Ein junger Mann hastet von der Rolltreppe her auf sie zu. «Excuse me, is this the train to Berne», fragt er ausser Atem. Die Zugbegleiterin der SBB nickt. Der Mann steigt ein. Wenig später – nachdem sie dem Lokführer das Signal zur Abfahrt gegeben hat – tut sie es diesem gleich und macht sich auf ihre erste Runde durch die 16 Wagen des Intercity-Zuges.

Was Kundenbegleiterinnen so alles tun

Die Leute, die nicht mit Handy oder Laptop beschäftigt sind, kramen bei Heinzerlings Anblick nach ihrem Billett. Doch sie lächelt und macht zuerst ihren Servicegang fertig. Dabei verschafft sie sich einen Überblick, wie gut der Zug besetzt ist und ob jemand Hilfe braucht. Erst dann beginnt sie mit der Aufgabe, von der viele glauben, es sei ihre einzige: der Billettkontrolle.

Doch Kundenbegleiterinnen und -begleiter der SBB sind im Fernverkehr in erster Linie für Passagiere und deren Sicherheit verantwortlich. Darum haben sie – bevor sie das Kontrollhandy zum ersten Mal in die Hand nehmen – im Normalfall bereits zig Dinge erledigt. Bei einer Frühschicht beispielsweise den Zug für die Lokführerin startklar gemacht, allfällige Störungen behoben und Fahrgäste per Durchsage dazu aufgefordert, den Sitz neben sich freizugeben. 



Steigt als Letzte in den Zug: SBB-Kundenbegleiterin Jessica Heinzerling.


Heinzerling auf ihrem Servicegang durch die Wagen des Intercity-Zugs.

Fern- versus Regionalverkehr

Im Zug sitzen rund 800 Personen. Heinzerling ist an diesem Morgen allein auf dem Zug, alle Reisenden zu kontrollieren ein Ding der Unmöglichkeit. Daher beginnt sie mit jenen Wagen, die laut System noch nicht oder länger nicht an der Reihe waren. Dass sie nicht alle schafft, nimmt sie gelassen. «Die Fahrgäste wissen, dass im Fernverkehr mindestens jemand von uns mitfährt. Darum haben die meisten ein gültiges Billett.» 

Wenn sie am Wochenende mit ihren Kolleginnen und Kollegen für den Zürcher Verkehrsverbund (ZVV) für Stichprobenkontrollen im Einsatz ist, präsentiert sich die Lage anders. «Im Regionalverkehr, wo die Wege kurz sind und das Rein und Raus schnell geht, kommt es öfter vor, dass die Leute kein Ticket lösen oder erst, wenn sie uns sehen», sagt sie. Da gebe es manchmal schon (hitzige) Diskussionen, wenn man ihnen eröffnet, dass sie ohne gültigen Fahrausweis unterwegs sind, weil das Billett vor Abfahrt des Zuges gelöst sein muss. Dann hört Heinzerling meist die Ausrede, sie hätten das nicht gewusst. Die Informationskampagnen-Kleber an Türen und Fenstern der ZVV-Fahrzeuge seien in diesen Situationen immer ein gutes Argument.

Wie klare Regeln helfen

«Glücklicherweise sind die Regeln seit Mai wieder klar.» Die fünf Monate, in denen die Branche zusammen mit dem Bundesamt für Verkehr (BAV) die Auslegung der Bestimmungen klärte, seien heraus- fordernd gewesen. In dieser Zeit sei im Regional- verkehr die Zahl der Reisenden ohne gültiges Ticket über das normale Mass gestiegen. Ausserdem habe es vermehrt heftige Reaktionen gegeben; nicht nur von Leuten, die zu spät eingecheckt hätten und darum einen Zuschlag kassierten, sondern auch von Dritten, die sich in das Gespräch einmischten. 

Dieses Sich-Einmischen komme seit der Corona- Pandemie nicht selten vor. Man sei ständig unter Beobachtung – das mache die Situation zusätzlich herausfordernd. «Ich wünschte mir, diese Leute verstünden, dass wir die Zuschläge nicht aus Spass verteilen, sondern dass es bei unserer Arbeit um die Einnahmensicherung im öffentlichen Verkehr geht. Und dass die Ausfälle, die nicht bezahlte Fahrausweise verursachen, letztlich die Steuerzahlenden berappen.» 



Hat weniger als eine Minute Zeit, um ein volles Tram zu kontrollieren: BVB-Kontrolleur  Markus Horber.


«Viel länger dauert eine Fahrt im Stadtverkehr im Normalfall nicht. Darum wäre eine Minutenregel, wie man sie diskutiert hat, bei uns gar nicht umsetzbar», sagt Horber.

Diskussionen: Das tägliche Brot

Uneinsichtige oder gar aggressive Fahrgäste hat auch Markus Horber in seinen 18 Jahren als Coach und Kontrolleur bei den Basler Verkehrs-Betrieben (BVB) einige erlebt. «Man muss sich schon manches anhören», erzählt er. Bezeichnungen wie «Affe» seien noch etwas vom Nettesten. Solche Situationen seien auch nach all den Jahren manchmal noch eine Herausforderung. Die langjährige Erfahrung im Kontrolldienst helfe ihm, die Lage schnell einschätzen zu können und ruhig zu blei- ben, selbst wenn der Fahrgast ausfällig werde. 

«Diskussionen gibt es immer wieder», sagt Horber. Er nimmt das nicht persönlich. Dass Leute sich rauszureden versuchen, sei also nachvollziehbar. «Die hundert Franken Zuschlag schmerzen.» Wenn es sein müsse, fordere er auch mal den Respekt des Gegenüber. 

55 Sekunden von A nach B

Langsam nähert sich das Tram der Haltestelle, wo Horber und sein Kollege für ihren nächsten Kontrolleinsatz bereitstehen. Nachdem alle Leute aus- und eingestiegen sind, betreten die beiden das Tram und beginnen, ohne grosse Worte zu verlieren, mit ihrer Arbeit.

Das Tram ist gut besetzt. Sie haben wenig Zeit, um die Billette aller Passagiere zu kontrollieren: 55 Sekunden. Dann kommt die nächste Haltestelle. «Viel länger dauert eine Fahrt im Stadtverkehr im Normalfall nicht. Darum wäre eine Minutenregel, wie man sie diskutiert hat, bei uns gar nicht umsetzbar gewesen.»

Damit alles so schnell gehen kann, wie es in dieser Minute eben muss, ist für Horber auch ein stabiles Kontrollsystem unabdingbar. «Es gibt je länger je weniger Einzelbillette und Mehrfahrtenkarten. Heute sind praktisch alle Tickets digital.» Auf Sicht liessen sich E-Tickets nur schwer auf Gültigkeit und Echtheit kontrollieren. Wenn die Technik streike, sei das eine Herausforderung.



Kennt sich im Tarif-Dschungel aus: MGBahn-Zugbegleiterin Dora Hermann.


Die Billettkontrolle ist nur eine der vielen Aufgaben von Hermann.

Tücken des Tarifdschungels

Von Herausforderungen ein Lied singen kann an diesem Tag auch Dora Hermann. Sie versucht einem entnervten Fahrgast geduldig zu erklären, warum sein Sparbillett in diesem Zug nicht gültig ist – und er einen Zuschlag bezahlen muss. Es ist nicht die erste Diskussion dieser Art. Hermann arbeitet seit sechs Jahren bei der Matterhorn Gotthard Bahn (MGBahn) als Zugbegleiterin. Seit drei ist sie auch dafür zuständig, dass ihre Kolleginnen und Kollegen in Sachen Dienst- und Tarifvorschriften auf dem neuesten Stand sind. Sie weiss also, wie anspruchsvoll es heute ist, sich in diesem Dschungel zurechtzufinden. Nicht zuletzt, weil die Tarife regelmässig ändern und das Sortiment sich stetig entwickelt.

«Wir haben immer mehr Billette, die Fahrgäste immer weniger Geduld», sagt Hermann. Da sei es schnell passiert, dass jemand mit dem Smartphone das falsche Ticket löse – oder erst der vierte Zugbegleiter den Fehler bemerke, wenn der Reisende in seinem letzten Zug sitze. Sie verstehe zwar, dass man möglichst viele Kundinnen und Kunden ansprechen wolle und darum ständig neue Produkte und Aktionen lanciere. Aber: «Ein einheitliches Tarifsystem und weniger verschiedene Billette würde vieles einfacher machen − für die Fahrgäste und für uns.»
 

Kurse für Kontrollpersonal

Weil noch kein Meister vom Himmel gefallen ist und Übung den Meister macht, hat die Alliance SwissPass Kurse für das Kontrollpersonal entwickelt. Teilnehmende erfahren dabei mehr über rechtliche Grundlagen, üben, mit dem Kontrollsystem KoServ umzugehen und Ticketfälschungen und -missbrauch zu erkennen. Zudem lernen sie, wie sie Fahrgäste am besten ansprechen, Konflikte deeskalieren können und wie Kolleginnen und Kollegen anderer Transportunternehmen und Verbünde arbeiten. (Für alle an der Alliance SwissPass Teilnehmenden offen)